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Ring frei! Junge Stimmen zum Wagner-Kosmos
von Marie-Claire Nickel

Foto: Jan Heinze
Im Rahmen unseres Studiums der Musiktheaterwissenschaft B.A. an der Universität Bayreuth hatten 18 Studierende die Gelegenheit, Wagners Der Ring des Nibelungen in der Inszenierung von Peter Konwitschny am Theater Dortmund eingebettet im zum sechsten Mal stattfindenden „Wagner-Kosmos“ zu erleben. Für viele von uns war dies die erste
Begegnung mit dem Ring-Zyklus, während andere bereits über intensive Erfahrungen, etwa durch die Arbeit als „Blaue“ bei den Bayreuther Festspielen, verfügten. Die Ausgangslage war entsprechend heterogen, und gerade das machte die Exkursion besonders spannend.
Peter Konwitschnys Regiekonzept wich bewusst von der traditionellen Aufführungsreihenfolge ab. So begann der Dortmunder Ring mit der Walküre und platzierte das Rheingold zwischen Siegfried und der Götterdämmerung. Ein besonderes Faszinosum bildet dabei die Abschlussinszenierung, da sie als Übernahme der Stuttgarter Produktion von 2000 unter Regie von Peter Konwitschny in den Dortmunder Zyklus integriert wurde. Diese ungewöhnliche Reihenfolge führte uns als Zuschauende auf eine neue Rezeptionsreise, bei der die Werke nicht nur als Teil eines monumentalen Gesamtkunstwerks, sondern auch als jeweils eigenständige theatrale Erzählungen erfahrbar wurden. Dieser Perspektivwechsel erwies sich als ausgesprochen zugänglich, auch wenn die einzelnen Teile des Zyklus dramaturgisch unterschiedlich stark wirkten. Besonders Rheingold und Walküre haben uns musikalisch und inszenatorisch am
meisten überzeugt. Konwitschnys stringente hermeneutische Lesart, gepaart mit präziser Personenführung, einer klaren szenischen Ökonomie und dem sensiblen Umgang mit der musikalischen Erzählebene, ermöglichte es, Wagners komplexe Partitur szenisch verständlich zu durchdringen. Besonders beeindruckend war für uns die gleichberechtigte und intensive Arbeit am Libretto wie am Notentext, dessen Leitmotivgeflecht behutsam in die Inszenierung eingebettet wurde.
Einige musikdramaturgische Bilder werden uns sicher dauerhaft in Erinnerung bleiben. Allen voran das Schlussbild des Rheingold: In der Szene der Regenbogenbrücke wurden Flyer mit Regenbogenmotiv und dem Schriftzug „Falsch und feig ist, was dort oben sich freut!“ ins Publikum geworfen, parallel zu einem entsprechenden Banner auf der Bühne.
Gerade dieser bewusste Bruch mit der sonst häufig angenommenen Geschlossenheit von Wagners Musiktheater beeindruckte uns nachhaltig. Die Inszenierung zeigte hier exemplarisch, wie sich durch szenische Interventionen, kritische Reflexion und ästhetische Wirkung produktiv verbinden lassen, ohne die musikalische Integrität des Werks zu unterlaufen. Etwas kritischer diskutierten wir den wiederkehrenden Einsatz von Alkohol als szenisches Motiv, das stellenweise als dramaturgische Abkürzung wirkte und die psychologische Tiefe mancher Figuren eher nivellierte als vertiefte. Den sängerischer Höhepunkt bildete Brünnhilde (Stéphanie Müther), die mit differenzierter Stimmführung und eindrucksvoller Bühnenpräsenz zu überzeugen wusste. Ebenso setzten Gunther (Joachim Goltz), Siegmund (Viktor Antipenko) und
Wotan (Thomasz Konieczny) starke sängerische Akzente. Gerade aufgrund der starken darstellerischen Leistungen der Solist*innen traten kleinere intonatorische Unsicherheiten einzelner Orchesterstimmen hinter dem insgesamt homogenen und ausgewogenen Klangbild des Orchesters zurück.
Das Begleitprogramm des „Wagner-Kosmos“ bot uns wertvolle Einblicke, auch wenn wir die Dominanz von Peter Konwitschny, selbst in Gesprächen, an denen er nicht teilnahm, als zu präsent empfanden. Der oft bemühte Begriff des „Altmeisters“ wirkte dabei auf uns eher distanzierend als inspirierend. Eine größere Diversität des Podiums, insbesondere
hinsichtlich Altersstruktur und Perspektiven, hätten wir uns hier sehr gewünscht. Hatten wir uns doch gerade auf den Austausch mit Peter Konwitschny selbst gefreut, wurden wir von der nur teilweise möglichen Beteiligung des Plenums an den Diskussionen enttäuscht.
Besonders hervorheben möchten wir hingegen die bemerkenswerte Offenheit und Gastfreundschaft des gesamten Hauses. In persönlichen Gesprächen mit Intendant Heribert Germeshausen, Chefdramaturg Dr. Daniel C. Schindler sowie zahlreichen Mitarbeitenden bis hin zum Schließpersonal entstand ein Dialog auf Augenhöhe, der aktiv dazu beitrug, die häufig elitäre Wagner-Rezeption aufzubrechen. Auch der Austausch mit anderen Zuschauer*innen zeigte, dass Wagner kein exklusives Ritual bleiben muss, sondern mit dem richtigen Konzept auch für neue Generationen zugänglich und diskursiv erlebbar ist.
Insgesamt blicken wir äußerst dankbar und motiviert auf diese Exkursion zurück. Viele von uns haben durch diese intensive Begegnung erstmals einen differenzierten Zugang zum Musikdrama Wagners gefunden, einige mit bleibenden Ohrwürmern, andere mit dem Wunsch, zukünftige Wagner-Rezeption kritisch und offen weiterzudenken. Das Theater Dortmund hat uns eindrucksvoll gezeigt, wie ein Haus durch kluge künstlerische und institutionelle Entscheidungen Barrieren abbauen und den „Wagner-Kosmos“ für eine neue Generation öffnen kann.